Kompetenz ist beschreibbar: Interessen
Kompetenz - dynamische Können - ist eine Eigenschaft einer Person (oder Gruppe) in einem bestimmten Zusammenhang. Sie hat daher immer individuelle, subjektive und situationsspezifische Aspekte. Dies gilt auch für denjenigen, der Kompetenz beschreibt: Da das Beschreiben von Kompetenz wiederum entsprechende Kompetenz erfordert, spielen bei der Beschreibung von Kompetenz neben der Perspektive auch individuelle, subjektive und situationspezifische Aspekte des (oder der) Beschreibenden eine Rolle. Kurz gesagt: Kompetenz, Kompetenzwahrnehmung und -beschreibung sind nicht (vollständig) objektivierbar.
Dies führt auch zu unterschiedlichen Bewertungen von Kompetenz. Dabei geht es nicht darum, nachzuweisen oder zu beurteilen, wie kompetent ein Einzelner ist. Auch die Vorstellung von Kompetenz als solcher, das jeweilige Kompetenzkonzept ist von von Interessen und Werten beeinflusst, einen neutralen Standpunkt kann es nicht geben.
Denn kompetent handeln heißt immer auch: Auswählen und Entscheiden. Entscheidungen bedürfen einer Grundlage. Sie erfordern Ziele und Maßstäbe, anhand derer sie getroffen werden können. Kompetenz beinhaltet daher immer normative Aspekte. Werte und Regeln, implizite wie explizite, spielen beim kompetenten Tun wie bei seiner Beschreibung eine große Rolle. Denn Situationen, in denen kompetentes Handeln sinnvoll oder notwendig ist, sind häufig komplex, manchmal sogar chaotisch. Diese Situationen sind dadurch gekennzeichnet, dass es in ihnen die richtige Lösung oder das korrekte Vorgehen nicht gibt. Ganz im Gegenteil: es gibt immer mehrere Möglichkeiten zu handeln und jede Wahl beeinflusst die Situation und ihre weitere Entwicklung. Damit kommt die Verantwortung des Handelnden, seine Individualität und seine Interessen ins Spiel.
Hieraus ergeben sich Widersprüche: Einerseits erfordert kompetentes Handeln individuelle Freiheit und Verantwortung. Andererseits ist mit der Forderung nach Kompetenz potentiell der Zugriff auf die ganze Person verbunden. Kompetentes Handeln ist nicht möglich, ohne das der einzelne sich selbst als Indviduum einbringt. Insbesondere in Arbeits- und Erwerbssituationen, die auf ökonomische Verwertbarkeit zielen und vielen Beschränkungen unterliegen, führt dies leicht zu Konflikten.
Das oft genutzt Argument, es sei eben (humanistische) Bildung statt (wirtschaftlich verwertbarer) Ausbildung erforderlich, hilft hier nicht weiter. Zwar stärkt Bildung, im besten Falle, Selbsterkenntnis, Orientierung an Idealen und Kritikfähigkeit. Aber auch in diesem Sinne "gebildete" kompetente Menschen müssen sich mit der Frage auseinander setzen, welchen gesellschaftlichen oder ökonomischen Interessen und Beschränkungen sie sich unterwerfen. Oder ob sie ihre Kompetenz zur Neugestaltung von Arbeits- und Lebenssituationen nutzen.
An der Frage, welchen Interessen, Zielen und Werten Kompetenz dient, kommt also niemand vorbei. Dies muss bei allen Möglichkeiten Kompetenz zu beschreiben oder gar zu beurteilen berücksichtigt werden.